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IchDuWir – Wie wertschätzende Kommunikation den Stress in der Schule reduzieren kann

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Eine Krise als Auslöser

Hi, ich bin Philipp und Lehrer an einer Grundschule.
Vor gut einem Jahr befand ich mich in einer persönlichen Krise. Den hohen beruflichen, familiären und gesellschaftlichen Anforderungen der vergangenen Jahre konnte ich nicht mehr standhalten. Stress!

Meinen Weg aus dieser Krise fand ich, indem ich lernte, eine gute Beziehung mit mir selbst zu führen und mich für das, was ich bin und was ich tue, wertzuschätzen.

In Literatur und dank professioneller Hilfe erarbeitete ich mir neues Wissen und effiziente Methoden. Ich veränderte wesentliche Bereiche meines Lebens grundlegend und fing an, mich für das was ich bin und was ich tue abzufeiern. Bereits nach wenigen Monaten fühlte ich mich deutlich stärker und besser als die Jahre zuvor. Heute bin ich gesund und habe trotz gleichhoher Anforderungen deutlich weniger Stress.

Wenn es mir selbst gut geht, kann ich dafür sorgen, dass es anderen auch gut geht!

Damit ihr wisst, wer euch schreibt.

Das neue Wissen und meine eigenen Erfahrungen möchte ich teilen und weitergeben. Darum habe ich das Führen und Pflegen von wertschätzenden, vertrauensvollen und mitfühlenden Beziehungen zur zentralen Leitidee meines beruflichen Handelns als Lehrer gemacht.

Mit dem Ziel, meinen Mitmenschen so zu begegnen, wie ich mir selbst wünsche, dass man mir begegnet.

Damit möchte ich insbesondere den Lernenden meiner Lerngruppe die Möglichkeit eröffnen, sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und Selbstwert und Selbstvertrauen zu stärken. Sie sollen sich in der Lage sehen, sich verantwortungsvoll um sich selbst zu kümmern und auftauchende Probleme bewältigen zu können. Gleichzeitig möchte ich den Kindern Chancen eröffnen, sich einer Gemeinschaft zugehörig und mit ihr verbunden zu fühlen. Beides gemeinsam sehe ich als Türöffner für gute Beziehungen.

Gute Beziehungen fördern mit der IchDuWir-Methode

Heute weiß ich, dass ich mich selbst früher vieler Möglichkeiten und Ressourcen beraubt habe – meine Erwartungen an mich waren so hoch, dass ich sie gar nicht erfüllen konnte. Um den Kindern ähnliches zu ersparen und ihnen eine Möglichkeit zu geben, einen gesunden Selbstwert aufzubauen, habe ich die Methode IchDuWir entwickelt und in meinem Unterricht etabliert.

Die IchDuWir-Methode besteht aus drei Schritten, die ich regelmäßig am Ende von Lernsequenzen, Schultagen oder -wochen durchführe.  Zunächst betrachten die Kinder im „Ich“ sich selbst. Sie dürfen sich selbst wertschätzen und darüber reflektieren, warum sie sich selbst gernhaben oder wofür sie dankbar sind. Ziel ist es hier, den Selbstwert und das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken.

Im zweiten Schritt, dem „Du“, sind die Kinder eingeladen, sich wertschätzend über einzelne Mitmenschen zu äußern. Sie dürfen teilen, warum jemand anderes besonders wertvoll ist und wofür sie einem Mitmenschen dankbar sind. Ich möchte damit erreichen, dass die Kommunikation untereinander positiver und wertschätzender wird.

Abschließend teilen die Kinder im „Wir“ ihre wertschätzenden Gedanken und Beobachtungen gegenüber der gesamten Lerngruppe. Hier geht es vor allem um die Steigerung der Identifikation mit und den Ausbau des Zugehörigkeitsgefühls zu der Gemeinschaft.

Mit dem IchDuWir zu einer Kultur des Miteinanders

Als ich die Methode in meinen Lerngruppen eingeführt habe,  äußerten die Kinder anfangs vor allem qualitative Beurteilungen von gezeigten Leistungen. „Ich bin stolz auf mich, dass ich heute so viele Aufgaben geschafft habe!“ oder „Du kannst stolz auf dich sein, dass Du heute deinen Wochenplan fertig gemacht hast!“ waren häufige Aussagen.

Mir geht es bei der IchDuWir-Methode jedoch darum, dass nicht das Verhalten beurteilt wird, sondern Menschen für das was sie sind, nämlich einzigartig und großartig, echte Wertschätzung erfahren. Die Anerkennung soll eben nicht beliebig sein oder Credits bei der*dem besten Freund*in oder der Lehrkraft einbringen, sondern die Wertschätzung soll von Herzen kommen.

Sich darauf einzulassen, gelang nicht allen Kindern auf Anhieb. Einigen fiel es zunächst schwer, sich auf die Methode einzulassen, da es ihnen schlichtweg fremd war, sich wertschätzende Gedanken über sich selbst oder andere zu machen. Die defizitorientierten und pathologischen Strukturen saßen tief. Es ist gerade deshalb interessant zu beobachten, wie sich die Kinder nach und nach von ihren gängigen Mustern lösen und mit der Zeit eine neue Haltung einnehmen, von der sie selbst spüren, dass sie ihnen und ihrer Umwelt einfach guttut.

Vergangene Woche äußerte sich ein Kind, dass es sehr stolz darauf sei, eine so großartige Familie zu haben. Als ich nachfragte, inwieweit es selbst denn dazu beitragen würde, dass seine Familie so großartig ist, antwortete es: „Als meine Mama letzte Woche ganz gestresst von der Arbeit zurückkam, habe ich ihr gesagt, dass ich jetzt mit ihr Yoga machen werde, damit sie sich entspannen kann. Dann habe ich ihr die Übungen aus der Schule gezeigt und sie hat mitgemacht.“

Als sich die Kinder dann später gegenseitig wertschätzen durften, stand ein Mitschüler auf und richtete sich mit den Worten an das Kind: „Du kannst ganz schön stolz auf dich sein, dass Du dich so um deine Mutter gekümmert hast!“ Weitere Kinder nickten zustimmend…

An einem anderen Tag teilte ein Kind seine Beobachtung einem Mitschüler mit, der im sozial-emotionalen Bereich erhebliche Schwierigkeiten hat. Dieser sei „seit der ersten Klasse viel ruhiger und entspannter geworden“ und nunmehr deutlich seltener in Streitereien verwickelt. Der voller Stolz anschwellende Brustkorb und das beschämte Lächeln des angesprochenen Kindes waren unbezahlbar.

Die Verselbstständigung der wertschätzenden Kommunikationskultur

Vergleichbare Gänsehautmomente entstehen immer öfter und sie lassen sich mittlerweile auch in Situationen außerhalb des IchDuWir beobachten. Das ständige Gegeneinander scheint sich zu verflüchtigen; es wird ersetzt durch eine Kultur des Miteinanders.

Das Lernklima ist nach meiner Wahrnehmung deutlich angenehmer geworden. Die Gemeinschaft wird trotz der widrigen, Pandemie bedingten Umständen immer wichtiger und stärker.

Als vor einigen Tagen ein Schüler seine Beobachtung teilte, dass „alle Kinder jetzt irgendwie schon ganz freundlich miteinander umgehen“, wurde mir deutlich, dass die Sache nicht nur bei mir, sondern auch bei den Kindern etwas bewegt.

Das IchDuWir wird mittlerweile von vielen Kindern eingefordert. Die Durchführung haben sie selbst übernommen. Regelmäßig sitze ich nun an meinem Arbeitsplatz und darf mehr und mehr die Rolle des Beobachters einnehmen. Die wertschätzende Kommunikation erscheint in diesen Momenten nicht nur als Türöffner für gute Beziehungen, sondern auch für selbstwirksames, verbundenes und gelingendes Lernen. Und das ganz ohne Stress….

Die Krise als Chance nutzen – mehr Selbstfürsorge statt Leistungsdruck

In den Medien wird vielerorts von einem „verlorenen Schuljahr“ und vom „inhaltlichen Zurückbleiben und Abhängen“ vieler Kinder durch die schulischen Einschränkungen der anhaltenden Covid-19-Pandemie gesprochen. Inhaltliche Rückstände sollen durch zusätzlichen Unterricht aufgefangen werden. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass die inhaltlichen Folgen reparabel sein werden.

Statt jetzt unbedingt den festgelegten Stoff durchzuboxen ist aus meiner Sicht viel wichtiger, dass wir die herrschenden Umstände dafür nutzen, den Fokus auf die proaktive Gesunderhaltung von uns und anderen zu richten.  Damit geht einher, dass wir zunächst für uns selbst dementsprechende selbstfürsorgliche Kompetenzen anbahnen und entwickeln, um diese weitergeben zu können.

Ich bin mir sicher, dass wir mit einer selbstfürsorglicheren Haltung die Grundlage dafür legen können, dass wir gesund und gestärkt aus der Krise hervorgehen werden und dann auch gut und gelingend leben und lernen können. Eine wertschätzende Kommunikation kann offensichtlich einen Beitrag dazu leisten.

Hast du die Krise auch für einen Wandel genutzt? 

Mit diesem Beitrag möchte ich dich zum Austausch einladen: Hast du bereits ähnliche oder andere Erfahrungen gesammelt? Oder nutzt du andere Instrumente um deine eigenen Selbstkompetenzen oder die der Lernenden zu stärken? Ich bin gespannt, ob und wie du die Krise für einen Wandel genutzt hast und freue mich, wenn du deine Erfahrungen teilst.

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