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Jeder Mensch kann Mathe

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Provokante Aussage, oder?
Hallo, ich bin Anja, Grundschullehrerin und Lerncoach mit einem großen Herzen für Zahlen und alles, was zum Themengebiet Mathematik zählt. Ich befasse mich seit über 20 Jahren beruflich und privat damit, wie Kinder das Rechnen lernen. Und mit den Dingen, die sie für die angstfreie Auseinandersetzung mit Mathematik eigentlich brauchen. Als Grundschulmathematik- und Förderlehrerin in Brandenburg habe ich immer wieder mit Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren zu tun, denen das Rechnen schwerfällt. 

Ich bin der Überzeugung, dass wirklich jedes Kind rechnen lernen kann. In diesem Beitrag möchte ich einige meiner Erfahrungen aus der Praxis mit euch teilen. Ich möchte zeigen, worauf es wirklich ankommt, damit Kinder gelöst und locker mit Zahlen umgehen können. Gemeinsam machen wir heute darum einen Perspektivwechsel, der gar nicht so viel mit Zahlen zu tun hat. Aber aus dem ihr Gedanken und Ideen mitnehmen könnt, um noch individueller auf eure Kinder einzugehen und Rechenschwierigkeiten zu verhindern.

Die Wahrnehmung von Mathematik

Mathematik wird oft als besonders schwieriges und angstmachendes Unterrichtsfach gesehen. Nicht wenige Erwachsene – Lehrkräfte ausdrücklich eingeschlossen – haben noch heute gemischte Gefühle bei dem Gedanken an die Mathestunden der eigenen Schulzeit. Und da sind wir schon mittendrin: nämlich bei unseren eigenen Annahmen über das Rechnen und uns selbst. 

Paloma Postkarte vom Gutsch Verlag

Wenn man genau hinschaut, ist unser Leben voller Mathematik. Wer einen Turm baut, eine Perlenkette fädelt, einen Kuchen backt oder Einkaufen geht, der nutzt dafür Mathematik. Wenn wir eine Reise antreten, den Tisch decken oder den Geburtstag im nächsten Monat planen wollen, dann geht das nicht ohne Bezug zu Mathe. Erstaunlicherweise gelingen den meisten Erwachsenen diese Dinge sehr gut. Fragt man sie aber – und das konnte ich in unzähligen Elterngesprächen immer wieder erleben – dann meinen nicht wenige: „Mathematik war nie meins.“ 

Wie wir Mathematik für uns nutzen ist abgespalten von dem, was wir in der Schule erlebt haben. In vielen Köpfen ist der Matheunterricht mit stupiden, schwierigen und oft lebensfremden Rechenaufgaben verbunden; mit Vorrechnen und beschämenden Rechenwettbewerben, mit Buch, Heft und Arbeitsblatt. Mit abstrakten Formeln, von denen niemand weiß, wozu sie gut sind. Die man nicht verstanden hat und dann auch noch erklären soll.

Das wollte ich so weder hinnehmen noch dazu beitragen, dass dieses Bild von Mathematik weiter existiert und sich verfestigt. Darum begann ich, meinen Unterricht zu hinterfragen und mir wurde klarer, worum es wirklich geht. Es geht um meine Haltung zum Fach, zum Menschen und zum Lernen selbst. Diese Erkenntnis hieß aber zunächst auch: loslassen. Zurücktreten von dem omnipräsenten Leitsatz meiner eigenen Schul- und Studienzeit: „Das ist so und wir machen das so!“ 

Die Ursprünge der Mathematik

Mathematik entstand vor vielen Tausend Jahren aus den alltäglichen Bedürfnissen der Menschen und wurde seitdem noch erweitert und vervollkommnet. Damit blockierende Glaubenssätze wie „Ich kann kein Mathe!“ gar nicht erst entstehen (oder, um sie aufzulösen), braucht es aus meiner Erfahrung eine Rückkehr zu diesen Wurzeln.

Dafür müssen wir zunächst die Verbindung herstellen, wie Rechnen können uns dabei hilft, unser tägliches Leben gut zu bewältigen. Darum bringe ich Alltag und Lebensnähe in die Schule und ins Coaching. Ich stelle den Kindern die Zahlen als das vor, was sie ursprünglich waren: nämlich ausgedachte Zeichen für Mengen. Es ist sozusagen eine „Geheimschrift“, dieses Rechnen. 

4 + 3 = 7 steht dann als Geheimzeichen für: Ich habe 4 Dinge hier und noch 3 Dinge dort. Die sehe ich (oder denke ich mir) und schiebe sie dann zusammen. Und nun entdecke ich, dass beides zusammen einer Gesamtmenge von 7 Dingen entspricht. Um diese Tatsache sowie die konkrete Handlung dahinter effektiv notieren zu können, haben wir Menschen uns die mathematische Sprache ausgedacht. Nur haben wir das leider vielfach vergessen und deshalb ist das Rechnen so ein angsteinflößendes Ungetüm. 

Die innere Haltung: Viele Wege führen nach Rom

Kinder denken anders und vielfach rechnen sie auch anders. Als Erwachsene sitzen wir jedoch gerne dem Glauben auf, den richtigen Weg zur Lösung genau zu kennen und wollen diesen schnurstracks auch an das Kind vermitteln. Diese Haltung dürfen wir getrost loslassen. Denn so funktioniert Lernen nicht. 

Denkt doch einmal an etwas, dass ihr eigentlich verstehen solltet, bei dem ihr aber Schwierigkeiten habt. Mir geht es zum Beispiel manchmal mit bestimmten Verträgen so. Die sollte ich schon verstehen. Aber egal, wie oft ich nachlese oder recherchiere, ich hänge an einigen Begriffen oder Zusammenhängen und steige nicht so recht dahinter. Im besten Fall finde ich durch Nachfragen dann Erklärungen, die ich begreife. Und unterschreibe anschließend mit innerer Sicherheit, weil ich weiß, was ich da vereinbare. Aber das Gefühl, das mich zu Beginn bei solchen Verträgen befällt, spüren Kinder mitunter in Mathematik. Insbesondere dann, wenn es zu schnell geht. Wenn sie nicht wirklich selbst dahinter steigen konnten. Wenn es keine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema gab. Wer ein Problem nicht wirklich durchdringen konnte, kann auch den als gut erachteten Lösungsweg schwerlich nachvollziehen. Logisch, oder?

Zum Glück gibt es viele Wege, die zum Ziel führen können. Sie aus eigenen Kräften und mit eigenem Vorwissen zu finden, auch über Umwege und Ausprobieren, Verwerfen und Neustart, ist der viel entscheidendere und nachhaltige Lernzuwachs. 

Deshalb biete ich Aufgaben tiefgründig und gehaltvoll an, gebe Raum zur Auseinandersetzung in kooperativen Settings, in denen die Kinder miteinander darüber sprechen können. Denn auch das ist wichtig im Umgang mit Zahlen: Rechnen zu lernen ist keine Einzelarbeit, sondern hat viel mit Sprache und Austausch zu tun. 

In meinen Angeboten bearbeiten die Kinder zum Beispiel Aufgaben wie Rechendreiecke zu zweit oder dritt. Dabei probieren sie gemeinsam aus, was möglich ist und was nicht funktioniert. Sie diskutieren und erläutern einander ihren eigenen Rechenweg und ihre Schlussfolgerungen und lernen so viel mehr, als wenn sie alleine arbeiten oder Aufgabenpäckchen lösen müssten.

Fehler sind nur Umwege und wichtige Helfer

Jeder Mensch gibt sein Bestes. Ich habe bisher kein Kind kennengelernt, das nicht mit Zahlen umgehen und Mathematik verstehen wollte. Ich kenne jedoch sehr wohl Kinder, die aus dem Schmerz, die Aufgabe – so wie sie ihnen dargeboten wird – nicht zu verstehen, aufgegeben haben. Dafür möchte ich immer wieder die Verantwortung übernehmen. Denn diese Kinder zweifeln nicht an den Fähigkeiten der Erwachsenen, weder an den Eltern noch an uns Lernbegleitenden. Diese Kinder zweifeln an sich. Und das oft nur, weil der Weg, der Unterricht, die Erklärung nicht zum Kind passte. 

Ich muss mich stets auf die Suche begeben. Schon im Vorfeld meinen „Lieblingslösungsweg“ loslassen. Und schauen, wie ich es passgenau für jedes Kind machen kann. Dabei kultiviere ich Fehler als Helfer, denn an sich sind Fehler einfach nur Umwege. Wir dürfen Fehler feiern als etwas, das uns vorwärtsbringt. Getreu nach Benjamin Franklin: „Ich bin nie gescheitert, ich hatte nur 10.000 Ideen, die nicht funktionierten.“

Oft wird mir entgegnet, dass unser Schulsystem für diese Haltung keine Zeit lässt und der Rahmenlehrplan drückt. Stimmt, uns räumt niemand diese Zeit ein; die vielen Rufe nach großer Veränderung  bleiben weiterhin ungehört. Deshalb ist es auch an uns Lernbegleitenden zu überlegen, worum es wirklich geht: 

Alles durchgeackert und angesprochen zu haben? Oder wirklich nachhaltige Lernprozesse und Weiterentwicklung angestoßen zu haben? Schreibt mir gern eure Meinung oder auch, was ihr in eurem Mathematikunterricht macht, um jedes Kind mitzunehmen. Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen und freue mich auf den Austausch.

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